Von den zwei Kanzeln des Doms gleicht die ältere, von Hans Witten zwischen 1508 und 1510 aus Porphyrtuff geschaffene, einer „kolossalen Tulipane“, besser einem aloeartigen Gewächs.
Ihre Nichtbenutzung im 19. und vielleicht auch im 18. Jahrhundert wird mit folgender Sage erklärt:
Es hätten einst, so erzählt die Sage, ein Meister und sein Geselle —die unten sitzende büßende, sinnende Gestalt eines bärtigen Mannes und die schöne Gestalt eines kräftigen Jünglings, der die Treppe mit seinem Rücken abstützt —gleichzeitig verschiedene Entwürfe zu dem Kanzelbau gefertigt. Weil das Modell des Gesellen dem des Meisters vorgezogen wurde, habe dieser seinen Gesellen aus Eifersucht getötet. Der Fluch des Sterbenden sollte keinen Prediger auf der Kanzel sprechen lassen.
Historisch ist überliefert, dass Superintendent Nikolaus Hausmann am 5. November 1558 während seiner Antrittspredigt auf der Tulpenkanzel einen Schlaganfall erlitt und drei Tage später verstarb. Andreas Möller erklärte 1653 die Tulpenkanzel als „hohen und fürstlichen Predigtstuhl“, von dem nur an Sonn- und Festtagen gepredigt wurde, während die in heutiger Gestalt 1638 errichtete Bergmannskanzel für Wochentage galt. In der Tulpenkanzel die Danielslegende von der Auffindung der Silbererze vergegenständlicht zu sehen, hält H. Magirius für nicht möglich. Auch die Deutung des andächtigen, vornehmen Mannes als den Freiberger Bürgermeister Ulrich Rülein von Calw, wie sie O. E. Schmidt und W. Pieper vornahmen, ist auch nicht beweisbar. Das Domkapitel war ja der Bauherr des Domes. Als Stifter kommt, worauf das Wappen hinweist, der Landesherr in Frage.
Quelle: Dr. W. Lauterbach: Sächsische Volkssagen, Band 3, Druckwerkstätten Stollberg, 1986 in Sagensammlung Band 1