In der rechten, mit drei Ringen geschmückten Hand hält sie die Heilige Schrift. Die linke umschließt einen kleinen Blumenstrauß. Ursprünglich war dieser Stein in lebensnahen Farben bunt bemalt, jetzt ist er weiß übertüncht. Vier Adelswappen und eine längere, jedoch schon stark verwitterte Inschrift verraten die Herkunft der Frau und erzählen die Geschichte ihres Todes.
Es ist die am 15. Januar 1605, abends um 6 Uhr verstorbene „Ehrentugendtreue Frau Magdalene, Frau des Ehrenfesten Heinrich von Schönberg auf Sachsenburg“. Sie starb bei der Totgeburt ihres Söhnleins im Alter von 30 Jahren und wurde neben der Sakristei der Sachsenburger Kirche beigesetzt. Irgendwann, lange vor 1840, mauerte man den Grabstein an seinem heutigen Standort ein. Die traurige Geschichte der jungen Frau Magdalene war bald vergessen. Zwei romantische Sagen nahmen vermutlich schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Platz ein:
>>Eines Tages geht eine Magd zur Kirche. Sie muss an dem Denkmal vorüber und sieht, dass der Staub fingerdick darauf liegt. Die Gesichtszüge auf der Grabplatte sind nur noch undeutlich zu erkennen. Das Mädchen nimmt sich vor, gleich nach dem Gottesdienst den Stein zu säubern. Der Schlussvers ist gesungen. Da eilt sie nach Hause, kehrt mit Staubtüchern zurück und reinigt das Steinbild. So, nun noch ein paar Striche über die Füße. Und siehe da: Ein Goldstück liegt am Boden, das die Magd freudig erschrocken aufhebt. Natürlich erfährt auch die Freundin von dem unerwarteten Lohn. Die ist sehr neidisch und denkt: „Hat die Annemarie für ein bisschen Staubwischen einen Dukaten erhalten, so wirst du das Reinemachen gründlicher vornehmen und einen größeren Dank erhalten.“ Sie geht dem Denkmal mit Wasser, Seife und Bürste zuleibe und bearbeitet es aus Leibeskräften. Aber siehe da: Plötzlich sitzt eine kräftige Maulschelle auf ihrer linken Backe. Ähnlich erging es einem losen Bengel. Er hielt der steinernen Frau eine Quarkschnitte vor den Mund und bekam dafür ebenfalls eine derbe Ohrfeige.<< Die Sage von dem gereinigten Bild ist auch anderen Grabmalen und Bildern dieser Zeit nachweisbar. Zum Beispiel bei dem des Abtes Hilarius in der Schlosskirche in Chemnitz.
Die zweite Sage von der „Weißen Frau in der Sachsenburg“ enthält genauere Angaben über den Ort des Geschehens, bezieht andere „handelnde Personen ein und täuscht so ein geschichtlich reales Ereignis vor. Gleichzeitig dient diese Sage der Darstellung sozialer Spannungen zwischen dem Adel und seinen Untergebenen:
>>An der Stelle der heutigen Fischerschenke stand früher ein Fischerhaus. Darin lebte einst der Fischer mit seinem Weibe und zwei lieblichen Kindern im größten Glück. Er hatte die Herrschaft mit Fischen zu versorgen. Als eines Tages der strengen Schlossherrin, einer Witwe, hinterbracht wurde, dass der Fischer heimlicherweise Fische nach Frankenberg verkauft habe, befahl sie ihn aufs Schloss. Sie kündigte ihm für den nächsten Tag die Todesstrafe an und ließ ihn einstweilen in den Turm werfen. Die Kunde von dem harten Urteil drang auch bald ins Fischerhaus. Die arme Frau eilte mit ihren Kindern aufs Schloss, warf sich auf die Knie und suchte mit Bitten und Tränen das Herz der Herrin zu erweichen. Aber alles war umsonst. Da erhob sie drohend die Rechte und sprach: „Hartes Weib! Wenn du meinen Mann töten lässt, sollst du im Leben und im Grabe keine Ruhe haben, bis einer aus deinem Geschlecht geboren wird, der ein braunes und ein blaues Auge hat. Bis dahin sollst du ruhelos sein!“ Am Fuße des Berges wiederholt sie ihren Fluch. Dann eilt sie mit ihren Kindern von dannen. Niemand hat sie je wiedergesehen. Die grausame Schlossherrin fand wirklich im Grabe keine Ruhe. Um die mitternächtliche Stunde schwebte sie in ihrem Leichengewand die alten, schmalen Gänge entlang und huschte unaufhörlich treppauf und treppab. Wenn sie jemand fragte, schüttelte sie abwehrend das Haupt und schwebte lautlos weiter. Schließlich erzählte sie einem alten Wächter, der sie beschwor, ihr Leid. Seitdem ist sie verschwunden.<<
Die Sagen vom Grabstein der Magdalene von Schönberg und die Geistersage von der „Weißen Frau auf Schloss Sachsenburg“ existierten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unabhängig voneinander. Erst nachdem man den Grabstein in der Kirche weiß angetüncht hatte, setze sich die Meinung durch, es handle sich um ein und dieselbe Person.