Hast du gelesen, am Wochenende findet auf der Rochsburg ein Ritterfest statt. Da wäre es doch cool, wenn wir vorher der wahren Geschichte auf den Grund gehen würden. Meinst du nicht auch?“, fragte Bäbbelmumpe seine Cousine. Ramme war sofort bei der Sache, wollte jedoch die Geschichte vorher lesen. Andy, der gerade die letzten Sätze vernahm, meinte allerdings: „Da wissen wir doch alles schon und dann wird’s nicht spannend.“ Bäbbelmumpe staunte. Das hätte er von seinem übervorsichtigen Freund nicht erwartet. „Na, gut“, sagte Ramme nur und verriet den Freunden, dass die Eltern den Besuch der Burg geplant hätten und von Lunzenau aus wandern wollten.

„Das passt wie die Faust aufs Auge“, freute sich Bäbbelmumpe und konnte die drei Tage bis dahin kaum erwarten. Der Samstag überraschte alle mit herrlichem Wetter und die drei Familien machten sich auf den Weg. Auf der Höhe hatten alle eine herrliche Sicht auf die Burg. Ein Picknick wurde geplant und die Erwachsenen ließen sich im Schatten einer großen Eiche auf einem Rastplatz nieder. Die drei Kinder zwinkerten einander zu und meinten nur: „Ihr habt doch nichts dagegen, wenn wir uns die Gegend näher anschauen.“ Das hatte natürlich keiner, denn alt genug waren sie schließlich. Als sie weit genug von den Eltern entfernt waren, rieb Bäbbelmumpe seinen Stab und schwupp, standen die drei auf dem völlig verdreckten Burghof.

Überall lag Stroh und Leute lungerten herum. Sie sahen aus wie Knechte oder Bauern. Genau war das nicht auszumachen. Auch Andy und Bäbbelmumpe hatten ähnliche Kleidung an, nur Ramme konnte sich in ihrem prächtigen Kleid kaum rühren. Ihre Taille war so eng geschnürt, dass sie kaum Luft bekam. „Ich bin angeschmiert“, dachte sie nur, denn sie wäre viel lieber auch in solchen Lumpen herumgelaufen wie ihre Freunde. Doch sie musste ausharren. „Mal sehen, wie es weitergeht“, wartete sie. Zwei Mädchen wedelten ihr frische Luft zu und versuchten das Mieder ein wenig zu lockern. Offensichtlich bedauerten die Zofen ihre Herrin. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie man so sagt, denn eine etwas korpulente Dame, ebenfalls eng zusammengepresst, herrschte die beiden an: „Hier wird nichts verändert. Das Kind muss lernen, in dem Kleid auszuharren. Wir Schönburger sind berühmt für unsere Taillenweite.“ Ramme erinnerte sich, dass sie einmal etwas von 33 Zentimetern gehört hatte, glaubte aber nicht so recht daran.

Momentan litt sie gewaltig und war froh, dass sie nicht im 17. Jahrhundert geboren war. Urplötzlich kamen drei Berittene auf den unteren Burghof und stritten heftig. Ramme stand auf der oberen Treppe und sah zu. Ihre Bediensteten wollten sie wegzerren, doch ihr kam das Gemächtel recht. Der als Hitzkopf bekannte Wolf Ernst von Schönburg bezichtigte einen schönburgischen Hauptmann namens Wolf Dietrich von Gelsdorf der Veruntreuung und riss ihn vom Pferd. „Ihr habt euch Ländereien zu Eigen gemacht, die euch nicht gehören. Ich verlange sofortige Herausgabe meines Eigentums!“ Außerdem ging es um Frauengeschichten, die beide in Rage brachten. Der heftige Wortwechsel war nicht zu überhören, so dass der Bruder von Wolf Ernst, Otto Wilhelm, herbeieilte und zu schlichten versuchte.

Das brachte ihm jedoch nur Beleidigungen seines Bruders und einen gewaltigen Kopfstoß mit einem Degengriff durch den Hauptmann ein. Er brach zusammen und schleppte sich die Treppe hinauf in Rammes Arme. Die wusste nicht, was zu tun war und stand nur steif mit Otto Wilhelm an der Seite. Als der Raufbold die schöne junge Frau sah, stürzte er die Treppe hinauf und zerrte Ramme auf sein Pferd. Doch jetzt griffen Andy und Bäbbelmumpe ein. Sie schlossen das große Tor und keiner konnte entweichen. Das war erst einmal getan.

Inzwischen hatten die schönburgischen Brüder, ausnahmsweise einer Meinung, das Edelfräulein befreit und wieder auf den Burghof gebracht. Dort wurde Ramme unwirsch von der älteren Schlossherrin empfangen und in die Gemächer der Damen gestoßen. Andy und Bäbbelmumpe jedoch erlebten vor den Augen des Gesindes und Hofpersonals eine übelste Scharade*. Otto Wilhelm von Schönburg, der sich wieder erholt hatte, verlangte von seinem Bruder eine Aussprache und drohte mit Gerichtsbarkeit. Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht, obwohl Otto Wilhelm alles in sachlichem Ton vorgebracht hatte. Wutentbrannt stürzte der sich auf seinen Bruder und verwickelte ihn in einen Zweikampf. Andy und Bäbbelmumpe konnten mit ihrem Gerechtigkeitsempfinden nicht tatenlos zusehen und mengten sich zum Entsetzen der Hofleute ein. „Das dürft ihr nicht, das ist Sache der Herrschaft. Ihr seid niedrigen Standes, das ist eurer nicht würdig.“

Doch die beiden störte das Rufen nicht. „Das wäre ja gelacht“, rief Bäbbelmumpe Andy zu. „Wir hauen einfach mit.“ In diesem Moment gab es einen Aufschrei. Unbemerkt von den Jungen kam Ramme mit zerrissenen Kleidern die Treppe herab gerannt und mischte sich in den Haufen von kämpfenden Leibern. Ein Weib mischt sich ein. Das hatte noch keiner erlebt und war in keinem Stande schicklich. So gab es nur ein Knäuel von Leibern zu sehen, von dem keiner wusste, wer oben oder zu unterst war.

Doch was dann geschah, hatte keiner der Beteiligten erwartet. Wolf Ernst kroch aus dem Getümmel hervor, zog seinen Hirschfänger und stach auf seinen Bruder Otto Wilhelm ein. Siegesbewusst stand er über dem leblosen Körper, jederzeit bereit, weitere Personen zu richten. Alle wichen zurück, auch die drei Kinder. Keiner wagte sich einzumischen und der Geschichte zu ihrem gerechten Verlauf zu verhelfen.

Den dreien blieb nur noch Zeit sich davon zu schleichen und in die Gegenwart zurückzukehren. Was sie dann mit den Eltern zum Ritterfest erlebten, ließ sie wieder aufatmen. Schließlich kann eine nachgestellte Aufführung nie das Unrecht der Vergangenheit personifizieren.

*Scharade = Wortgefecht

Quelle: Astrid Lose: Geheimnisse aus dem Land des Roten Porphyr - Eine Reise in die Welt sächsischer Sagen und Legenden (ISBN: 978-3-00-047319-7) in Sagensammlung Band 2

Festsaal mit dem Restaurierten Renaissanceportal (Quelle: Sagensammlung, Bd. 2; L.Hennig - Schloss Rochsburg)
Festsaal mit dem Restaurierten Renaissanceportal (Quelle: Sagensammlung, Bd. 2; L.Hennig - Schloss Rochsburg)